Vor einer Woche hielt Sascha Lobo auf Spiegel Online ein Plädoyer für das Meckern, insbesondere in der allseits geschätzten Form, wie es im Internet praktiziert wird. “Ein besseres Internet, eine bessere Welt muss herbeigemeckert werden“. Es sei die Pflicht eines jeden “vernünftigen Bürgers” sich über “störende Umstände laut zu beschweren, in meckerndem, keine Zweifel am Unmut lassenden Ton.”
Zweifellos ist eine Hauptzutat dieses Lobs der “Nölpest” die Ironie, und vermutlich war es für Lobo auch nur eine Fingerübung, der als geübter Rhetoriker auf Wunsch zu einem frei gewählten Standpunkt eine unterhaltsame Rede aus den Ärmeln schüttelt. Oft gelingt ihm dies brilliant, und nicht selten kokettiert er dabei mit einer Bescheidenheit, mit der er zeigt, dass er die Fallstricke des Dogmatismus vermeiden möchte. Im Gegensatz zu vielen Lobohassern nehm ich ihm das ab – nämlich weil er es sagt.
Nur eine Woche nach dem Lob des Meckerns kritisierte er auf Spon das “Netz der Besserwisser“, wobei er von dem Prinzip “Alles zu allem und auch das Gegenteil davon” verblüffenderweise selbst Gebrauch macht. Mit seiner Kritik der “gefühlten Experten” scheint er das genaue Gegenteil des vorherigen Lobs der Meckerkultur zu behaupten: Ausgerüstet “mit der Normalimpertinenz des erfahrenen Internetnutzers” würde jedes Geschehen der Weltgeschichte “durch immense Hinterher-Klugheit” kommentiert, oft nur einen “Schritt von der Verschwörungstheorie entfernt“. Das Internet laufe Gefahr, zur Besserwissensmaschine zu werden. (Dazu passt es dann, wenn auch unfreiwillig, dass er ausgerechnet Michael Seemann als “Netzdenker” zitiert, der hauptsächlich durch selbstgerechtes Rumpöbeln und beliebiges Buzzwording auffällt, und es nicht fertigbringt, bei Sachfragen außerhalb seines vertrauten Vorurteilshorizonts im Internet zu recherchieren, geschweige denn in einem Buch wie bspw. einem Standard-Philosophielexikon nachzuschlagen.) Lobo hat völlig recht, wenn er feststellt, dass zum Suchen von Informationen auch die “Kenntnis um ihre Relativität, Subjektivität und eventuelle Falschheit” gehört.
Tatsächlich ist das Ventilieren dogmatischer Vorurteile, Rumposen und Pöbeln, das auch euphemistisch als Internetdiskurs gehandelt wird, kein guter Garant für die Wissensvermehrung. Und auch als Unterhaltungsfaktor fehlt ihm das zeitlose Etwas – wer lacht heute schon noch über Pocher und Raab? Wer nicht auf das argumentative Niveau von Sarah Palin absinken will, muss sich an anderen Kriterien orientieren: Guter Ton, Vielfalt, Sorgfalt, kritische Reflexion, und weniger Rumposen. Es ist wahr: Was Street Credibility und Ruhm angeht, sind Wirkung und Schein die ausschlaggebenden Kriterien. Wissen dagegen braucht die von Lobo zurecht hervorgehobenen epistemologischen Kriterien, zu denen auch noch ein Schuss Argumentationstheorie gehören dürfte. Insofern sind Sokrates und Aristoteles kein bisschen 350 v.u.Z. (Sagt ja auch der Lobo.)
Es ist richtig, dass die Meinungsvielfalt im Netz gut ist für eine bessere Welt – vielleicht erleben wir sie ja dereinst einmal. Das Meckerartige des Meckerns aber, nämlich Dummheit und Dogmatismus, führen geradewegs in die Hölle.